Corporate Design Strategie für Unternehmen
Interview mit Till Oyen – Creative Director und Co-Founder (Teil 1)
Was macht ihr bei Radikant?
Wir sind eine auf Corporate Design und Markenentwicklung spezialisierte Agentur – mit einem Schwerpunkt auf digitale Auftritte. Unter Corporate Design verstehen wir das visuelle Erscheinungsbild, während Markenentwicklung für uns die inhaltliche Grundlage einer Marke bedeutet: also, was ist die Daseinsberechtigung, das Leistungsversprechen einer Marke und wie erzählt man die Story der Marke so, dass Leute gerne zuhören. Die inhaltliche Markenentwicklung mündet im Corporate Design. Letztlich geht es darum, was ein Unternehmen – egal in welcher Form – über sich sagt.
Wenn ein Unternehmen zu euch kommt und ein Corporate Design haben möchte, wie läuft das ab? Fängt es mit einem Briefing an oder passiert vorher schon etwas?
Unternehmen kommen zu uns und sagen: „Wir möchten unser Erscheinungsbild überarbeiten.“ Unser erster Schritt ist herauszufinden, warum das Erscheinungsbild weiterentwickelt werden sollte, welchen Anlass es gibt – und welche Ziele und Probleme sich dahinter verbergen. Für das Corporate Design macht diese Frage einen beträchtlichen Unterschied.
Gibt es beim Corporate Design Unterschiede zwischen Unternehmen in der Gründung und schon weiter fortgeschrittenen Unternehmen?
Ja, eindeutig. Am Anfang bei der Gründung geht es darum, zu zeigen, was das Unternehmen macht und wofür es steht. Das Unternehmen wurde gegründet und man braucht ein Erscheinungsbild. Da geht auch viel von der Persönlichkeit der Gründer aus.
Dann gibt es die nächste Stufe, in welcher das Unternehmen mit dem ersten Produkt, den ersten Produkten Erfolg hat und an Mitarbeitern gewinnt – und damit immer mehr kommuniziert. Je mehr Mitarbeiter, je mehr Produkte, je mehr Kundensegmente, desto mehr Kommunikation. In dieser Wachstumsphase entsteht oft ein kommunikativer Wildwuchs. Man hat zwar irgendwann einmal ein Logo gemacht und alles durchgestaltet, aber du merkst: okay, wir haben eigentlich für die ganzen Medien kein System. Jede Broschüre, jeder Flyer, jedes Social Media Posting sieht anders aus.
Das Unternehmen professionalisiert sich in dieser Entwicklungsstufe: Das Management bringt überall Struktur hinein – auch ins Corporate Design. Diese Professionalisierung ist häufig auch notwendig, weil die Erscheinungsbilder in der Gründungsphase manchmal ein bisschen dilettantisch aussehen, da man als Gründer in vielen Bereichen improvisieren muss und selten weder genug Zeit noch ein angemessenes Budget hat. Es gilt dann, den ersten Auftritt ein bisschen geradezuziehen und zu gucken, dass sich das Wachstum widerspiegelt und man nicht mehr aussieht wie der kleine Laden um die Ecke, sondern wie ein Erfolgsunternehmen.
Mit welchen Herausforderungen kämpfen Unternehmen nach der Gründungsphase, wenn sie sich etabliert haben?
Da geht es oft um neue Produkte oder neue Märkte. Internationalisierung ist beispielsweise ein Anlass, bei dem ein kleines, schon erfolgreiches Unternehmen merkt: wenn du aus deinem lokalen Markt in den nationalen oder internationalen Markt reingehst, gestaltet es sich aus Corporate-Design-Sicht so, dass es dann wieder neue Wettbewerber gibt, die genauso aussehen wie du.
Ein Beispiel: Du bist Inhaber einer Softwarefirma und deine Hausfarben sind Blau und Grau. Wie Softwarefirmen nun mal oft aussehen – was auch die Erwartungshaltung der Kunden treffen mag oder zumindest niemanden irritiert. Wenn das Unternehmen jedoch in der weiteren Entwicklung national beziehungsweise international tätig wird, merkst du, dass es nichts bringt, blaugrau auszusehen. Weil du unter den zehntausend Softwareunternehmen, die auch blaugrau aussehen, nicht mehr auffällst. In Nischenmärkten sind das vielleicht nicht unbedingt zehntausend, aber dutzende bis hunderte alternative Optionen, die sich ein Kunde anschaut und die er kaum auseinanderhalten kann. Kunden können dich nicht mehr wahrnehmen, weil du zu nullachtfünfzehn, zu generisch aussiehst.
Ab einer gewissen Größe entstehen auch weitere Herausforderungen, die Wachstum zur Ursache haben. Kommunikation und Gestaltung gibt es inzwischen an so vielen Stellen, dass Corporate Design zum strukturellen Problem wird. Das Erscheinungsbild ist von der Wirkung her vielleicht okay, doch man muss es systematisieren, damit es konsistent wirkt.
Dann gibt es natürlich Fälle, wo man sagt: Unsere Ausrichtung hat sich verändert und das Erscheinungsbild passt einfach nicht mehr dazu. Der Stil und die damit verbundenen Assoziationen sind einfach falsch für das, was wir machen. Das kann sich auf die „Qualität“ der Anmutung beziehen. Zum Beispiel unternimmt man als Gründer in einem Dienstleistungsunternehmen zu Beginn alles, um überhaupt Geld zu verdienen. Irgendwann merkt man aber: wir sind in einem Bereich sehr gut geworden, wir sind Experten für ein Thema. Diese Qualität sollte auch zum Ausdruck kommen und andere Sachen, die man vorher gemacht hat, fallen weg. Anschließend braucht man vielleicht ein Rebranding, das den neuen Inhalt widerspiegelt.
Ganz typisch im Corporate-Design-Kontext ist, dass alle fünf bis zehn Jahre ein Erscheinungsbild in die Jahre kommt und modernisiert werden muss. Diesen visuellen Refresh nimmt man vor, wenn das Unternehmen sich inhaltlich nicht verändert hat, jedoch signalisieren möchte, dass es modern und zeitgemäß denkt und handelt. Wer behauptet, an innovativen Produkten zu arbeiten, darf nicht aussehen, als ob er kein Gespür für die Zeit besitzt.
Es gibt natürlich weitere Spezialfälle: Bei Mergern & Akquisitionen ist es dein Job, verschiedene Parteien zusammenzubringen. Dabei müssen die Mitarbeiter vom einen Unternehmen glücklich sein beziehungsweise das Management vom einen Unternehmen muss glücklich sein und das Management vom anderen Unternehmen muss glücklich sein. Als interessantes Beispiel sei hier die Commerzbank genannt, die bei der Übernahme der Dresdner Bank den Namen der Dresdner Bank gestrichen, aber deren Bildzeichen übernommen hat. Das ist eine Geste nach innen an die Mitarbeiter. Ähnlich ging Continental Airlines vor, als sie United Airlines übernommen haben: Der United-Globus findet sich nach dem Merger auch im Logo von Continental Airlines.
In solchen strukturellen oder inhaltlichen Veränderungen geht es weit über das Visuelle hinaus?
Ja. Man sieht, es sind oft organisationsbezogene Themen, die sich mit dem Corporate Design sichtbar machen lassen.
„Das macht Corporate Design in der Unternehmensentwicklung so interessant, weil es ein sichtbares Artefakt ist, über das man sprechen und diskutieren kann.“
Daher hängen sich ganz viele Diskussionen am Logo auf: Leute finden den Entwurf für ihr neues Logo erst mal „nicht gut“. Eigentlich geht es ihnen aber weniger um die formale Gestaltung, sondern es liegt daran, dass sie unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wohin es mit dem Unternehmen gehen soll. Diese Unternehmensausrichtung kann sich danach ästhetisch manifestieren. Es mag sein, dass die Ästhetik des ersten Entwurfs noch nicht passt – in jedem Fall gibt es dann einen dankbaren Anlass, der sich aktiv nutzen lässt, um über diese Ausrichtung zu sprechen. Das heißt, hier kommt eine Change-Management-Perspektive ins Corporate Design.
Heißt das, ihr unterstützt Unternehmen auch beim Change Management?
Bis zu einem gewissen Punkt moderieren wir auch solche internen Prozesse, obwohl es zu Beginn nur um Visuelles und externe Kommunikation ging. Denn es ist auch für uns notwendig, zu verstehen, welche Situation eigentlich vorliegt, quasi hinter die Kulisse zu gucken und zu überlegen, was sind denn die tatsächlichen Probleme, wozu das Design eine Lösung bieten kann. Nur so haben wir die Möglichkeit, hinterher einen kommunikativen Auftritt zu entwerfen, der das Unternehmen weiterbringt. Nur Logo-Malen reicht hier bei Weitem nicht aus.
Gerne berate ich Sie zum Thema Corporate Design und Branding.