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Vom Corporate Design Workshop zum Ergebnis – wie läuft ein Projekt ab?

Interview mit Till Oyen – Creative Director und Co-Founder (Teil 2)

Illustration von Mitarbeitenden der Designagentur Radikant in einem Meeting mit einer Darstellung auf einem Bildschirm

Welche Informationen bekommt ihr zu Beginn eines Projekts?

Wir kriegen in der Regel ein Briefing, welches sich je nach Unternehmen vom Umfang her unterscheidet. Es gibt einerseits sehr professionelle und bis ins Detail erfahrene Auftraggeber. Es gibt andererseits auch Auftraggeber, die durch ihre Rolle sehr viele Funktionen und sehr viel Verantwortung innehaben – Corporate Design ist eins von zwanzig Themen. Diese Person muss noch ganz andere Aspekte bedenken und ist in dem Thema Corporate Design nicht im Detail drin. Dafür gibt es ja uns.

Das bedeutet, wir verstehen es als unsere Aufgabe, zu diskutieren, was das eigentliche Problem darstellt und welche Herausforderung das Unternehmen vielleicht noch gar nicht erkannte, weil es nicht diese externe Perspektive besitzt. Das kann man systemtheoretisch erklären, wenn man will: Wer im System selbst drinsteckt, hat durch die Innenperspektive ein anderes Wissen und einen anderen Blick. Manchmal braucht es den externen Berater, der nicht alles selbstverständlich hinnimmt, der ganz naiv Fragen stellt, um das System ein bisschen zu irritieren. 

„Und dann muss man fragen, was ist denn eigentlich wichtig? Ist alles inhaltlich klar und geht es nur darum, dass es frischer oder zeitgemäßer aussieht oder liegt das Problem eigentlich viel eher in einer fehlenden inhaltlichen Entscheidung?“

Solche Fragen stellen wir.

Wie geht ihr vor? Was kann ich als Auftraggeber erwarten?

Bei uns heißt diese erste Phase naheliegenderweise Analyse. Zum Projektauftakt geben wir dem Auftraggeber erst mal einen Fragebogen mit, interviewen diesen, seine Kunden, Mitarbeiter und gucken uns alles an. Wir drucken zum Beispiel alle Wettbewerber-Websites aus und hängen sie nebeneinander, damit man sieht, was denn da eigentlich schon existiert, welche Stile und Botschaften es schon gibt – die man gegebenenfalls allein deswegen vermeiden sollte. Eine ganz einfache Methode, die immer für große Erkenntnis sorgt.

Und anschließend wird alles neu gemacht?

Bei einem bestehenden Unternehmen gucken wir uns das aktuelle Corporate Design, Unternehmenspräsentationen, Marketingmaterialien, Stellenanzeigen an. Es gibt häufig Dinge, die schon ganz ok sind. Vielleicht sind manche Elemente veraltet oder funktionieren nicht richtig, es gibt vielleicht auch Elemente, die markant sind. Die wecken besonders unser Interesse. Denn eine unserer grundsätzlichen Überzeugungen lautet: 

„Verschenke keine mühsam aufgebaute Bekanntheit – es sei denn, es ist inhaltlich notwendig.“

Also ein Rebranding zu machen, nur weil man darauf Lust hat und weil man als Unternehmensangehöriger mal gerne andere Farben sehen würde, ist in der Regel wenig gewinnbringend. Man kann das Erscheinungsbild modernisieren, man kann es im Ausdruck ergänzen, aber gleichzeitig spielt es eine sehr große Rolle, dass die Kunden das Unternehmen wiedererkennen und nicht grundlos irritiert werden. 

Zeigt sich die Veränderung als inhaltlich begründet und notwendig, lassen sich dennoch Wege finden, an bekannte Elemente anzuknüpfen. Man sagt, es gibt jetzt eine bestimmte Farbkombination oder ein Motiv, das gelernt ist – und wir sehen keinen Grund, dieses Motiv oder die Farbkombination wegzuschmeißen. In dem Fall sollte man sie auch benutzen, weil man die Anschlussfähigkeit hat: Die Stakeholder erkennen das Unternehmen anhand markanter Elemente im Corporate Design wieder. Und Wiedererkennbarkeit muss man teuer aufbauen, sofern man von Null anfängt. 

Das sind typische Fragen in der Strategiephase was ist wirklich wichtig, was kann man weiterverwenden, was will man eigentlich erreichen? 

Und dann haben wir die nächsten Schritte des Projekts weiter untergegliedert. Die Story: was erzählt das Unternehmen? Das ist vor allem bei der Markenentwicklung Thema, aber auch im visuellen Corporate Design spielt das eine Rolle. Wenn man nämlich sagt: „Okay, wir wollen die Branche professionalisieren oder revolutionieren“, hat diese Story natürlich Implikationen für den Stil, den man entwickelt. In der Stilphase geht es um die Anmutung, die Ästhetik. Danach in der Systemphase legen wir den Fokus auf die Fragen: was braucht man eigentlich alles für Elemente und wie spielen diese zusammen? 

Was meint ihr mit System?

Wir fragen uns in diesem Stadium, welche und wie viele Gestaltungselemente das Unternehmen für die tägliche Kommunikation braucht. Es gibt Grundelemente, die fast jeder benutzt, wie Logo, Hausschrift, Farbschema, aber darüber hinaus sind noch viele andere Gestaltungsmittel vorstellbar: Piktogramme, Fotografie, Illustrationen, grafische Elemente, Layoutsystematiken, standardisierte Medienformate, typografische Feinheiten und so weiter. 

Im Anschluss daran fragen wir: Welche Regeln für welches Element in welchem Anwendungsfall? Also, wann darf ich das Logo auch in einer anderen Farbe einsetzen? Darf ich auch mal eine andere Schrift verwenden. Wie streng sind die Vorgaben allgemein? Wie flexibel darf ich als interner Designer damit spielen?

Wie entscheidet ihr über den Umfang und die Regeln des Systems?

Möglicherweise macht es Sinn, erst mal ein schlankes Corporate Design bereitzustellen. Ein Startup braucht noch nicht viel, weil es auch nicht auf so vielen Kanälen kommuniziert wie ein etabliertes Unternehmen. Bei weniger Personen, die mit dem Corporate Design arbeiten, braucht es meist auch weniger Erklärung und Regeln – während sehr diverse Anwender auf die Dokumentation der Regeln oder Prinzipien großen Wert legen. 

Es funktioniert allerdings auch andersherum: Ein Unternehmen ist so groß und vielfältig, dass alle Fälle und Kommunikationsanlässe vorab durchzudenken, sich erstens als sehr aufwändig und zweitens als zu komplex darstellt. Hier würden wir einige wenige Elemente bestimmen, die für alle verpflichtend sind. 

Außerdem gibt es auch den Fall, dass das bestehende Logo fortgeführt werden soll, dieses allein aber nicht den innovativen Ausdruck leistet, den das Unternehmen ab sofort vermitteln will. Das heißt, wir müssen definieren, welche zusätzlichen Elemente den Ausdruck ins Erscheinungsbild bringen. Das kann ein Key Visual oder eine bestimmte Bildsprache sein. Dieses beziehungsweise diese muss dann für die verschiedenen Themen passen. 

Wann spielen denn solche Systemüberlegungen eine besondere Rolle?

Diese Systemebene zeigt sich wegen des Umfangs besonders interessant oder komplex, wenn es im weiteren Schritt um digitale Auftritte geht. Denn im digitalen Raum ist die Zahl der Gestaltungselemente und Varianten, die einzuplanen sind, noch deutlich größer und variantenreicher als in Printmedien. Definieren wir jetzt alle möglichen Buttons und die verschiedenen Interaction States, die solch ein Element hat – also hover, active, passive und so weiter? Das sind Grundsatzentscheidungen, die am Anfang eines Projekts in der Strategie zu treffen sind, bis zu welchem Detailgrad es Sinn macht, das Corporate Design auszuarbeiten. 

Je mehr du ausarbeitest, desto höher ist natürlich der Aufwand. Doch dafür erhält das Unternehmen auch einen umso umfangreicheren Baukasten, mit dem sich sehr viele Medien und (digitale) Produkte schnell gestalten lassen. Dieser Baukasten muss aber, im digitalen auch wegen der technischen Weiterentwicklung, kontinuierlich gepflegt werden – was zusätzliche Bemühungen bedeutet. Es gibt dann möglicherweise Aspekte, die du als Unternehmen nicht brauchst oder du weißt, dieses eine bestimmte Thema wollen wir erst in eineinhalb Jahren angehen und bis dahin kann sich viel ändern – daher berücksichtigen wir das in diesem Fall nicht. Eventuell hat man in der Analyse auch festgestellt, dass es gar nicht so viele Medien oder Zielgruppen gibt. 

Ein anderes Beispiel für systembezogene Überlegungen wäre, ob es stilistische Unterschiede geben sollte, wenn ein Unternehmen sehr viele Zielgruppen besitzt. Kommunizierst du also als öffentliche Institution mit Kindern genauso wie mit Entscheidungsträgern aus der Politik, ist das natürlich ein größeres stilistisches Spektrum, das du in der Kommunikation nutzt. Dieses solltest du abbilden und das überlegt man sich natürlich, bevor entworfen wird. 

Und wenn ihr das alles erarbeitet habt, ist das Corporate Design fertig?

Nein, das Corporate Design kann erst dann wirken, sobald es erfolgreich im Unternehmen ankommt. Das Unternehmen muss ja damit arbeiten können – und manchmal heißt es auch eher: Alle müssen damit arbeiten wollen. Denn nur wenn die Kommunizierenden verstehen, wie das neue Branding ihnen im Arbeitsalltag hilft und wie sie es benutzen, werden sie es auch so richtig annehmen. 

Praktisch heißt das: Wir übergeben unseren Auftraggebern neben einigen ersten Medien, die wir im Rahmen des Corporate Designs in der Regel mitgestalten, hinterher ein Brand Book, einen Online Style Guide oder für digitale Anwendungen auch ein sogenanntes Design System. 

Ein Brand Book enthält die Hintergründe zur Marke. Mitarbeiter oder auch Kunden lernen hiermit die Marke kennen. Ein Online Style Guide beinhaltet die Elemente des Corporate Designs, Templates für Medien und Ähnliches zum Download. Außerdem sind Gestaltungsprinzipien und Regeln beschrieben.

Ein Design System ist die dynamische Variante des Online Style Guides. Hier können Entwickler für digitale Anwendungen auch Code-Komponenten herunterladen. Damit stellt man sicher, dass auch bei allen Websites, Landingpages sowie Apps ein konsistenter Eindruck geschaffen wird und nicht jedes Entwicklungsteam den Button neu erfinden muss.

Wir machen auch Einführungsworkshops, wo wir die inhaltlichen Hintergründe vertiefen und technische Schulungen durchführen im Hinblick auf den konkreten Umgang mit Corporate Design. 

Wir bieten beispielsweise einen Corporate-Design-Support an: Die Mitarbeiter haben die Möglichkeit, uns Entwürfe zu schicken und wir geben Feedback, wie sie noch besser und noch markenkonformer werden können.

Till Oyen

Till Oyen
Co-Founder

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