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Corporate Design Management (4/5)

Uniformität im Corporate Design – ist das erstrebenswert?

Wie wir in den letzten Artikeln herausstellen konnten, schafft es ein Unternehmen erst durch Konsistenz im Corporate Design, in die Köpfe der Stakeholder zu gelangen und dort zu bleiben. Verliert ein Erscheinungsbild mit der Zeit an Zusammenhalt und wird visuell inkonsistenter, vermittelt das ab einem gewissen Maß einen schlechten Eindruck. Denn der ungepflegte Auftritt suggeriert möglicherweise ein unprofessionell geführtes Unternehmen.

In diesem Artikel treten wir noch mal einen Schritt zurück und stellen eine Grundsatzfrage: Müssen Unternehmen zwingend einheitlich – im Sinne des klassischen Corporate-Design-Verständnisses – auftreten? Darüber hinaus klären wir, inwiefern sich der Anspruch, „visuell gleichartig“ aufzutreten, über die Jahre verändert hat. 

Eine Frage der Haltung

Aus funktional-ökonomischer – also kognitiver und medienproduzierender – Sicht ist visuelle Uniformität im Corporate Design eindeutig sinnvoll: Sie stellt die Wiedererkennbarkeit des Unternehmens sicher und macht die Gestaltung von Unternehmensmedien effizienter, da die Designprinzipien eindeutig vorgegeben sind. (1) 

Aus einer normativen – also moralisch-ethischen – Perspektive lassen sich die zugrunde liegenden Werte des Corporate-Design-Ansatzes durchaus kritisch diskutieren: Denn Design transportiert Haltung – mal plakativ, mal subtil. 

Ein Beispiel: Zwischen der Ideologie der 1970er/1980er Punkbewegung und ihrer roughen Ästhetik besteht ein direkter Zusammenhang. Hier geht es aus stilistischer Sicht um zwei Dinge: die Ablehnung bestehender und „geordneter“ Strukturen sowie den Anspruch des Do-it-yourself. Das bedeutet, selbst Dinge zu entwerfen und zu produzieren, statt nur passiv das zu konsumieren, was man vorgesetzt bekommt.

Die Moderne – oder „Vermeintlich neutral und sachlich“

Aber selbst der de-facto-Stilstandard des heutigen Corporate Designs –  die moderne Grafik Schweizer Schule – baut auf einem Wertegerüst auf: Mit Vereinfachung und Reduktion auf das „Wesentliche“ sowie einem Anspruch auf Objektivität und universelle Gültigkeit finden sich die Werte der Moderne der Nachkriegszeit in der Gestaltung wieder. 

Als bekannte Beispiele lassen sich hier die Schriften Helvetica und Akzidenz Grotesk oder die Erscheinungsbilder der Schweizer Bahn SBB sowie der Deutschen Bank von Anton Stankowski nennen. Dieser Stil ist so erfolgreich und „selbstverständlich“ geworden, dass selbst vielen Designern der ideologische Hintergrund und die indirekt kommunizierten Werte nicht präsent sind.

In der Ästhetik der modernen Grafik geht es um geradlinige und einfache Formen, aufgeräumte und „cleane“ Layouts sowie eine vermeintlich neutrale Gestaltung, die dem Inhalt nicht im Weg steht. Ebenso soll sie eine Internationalität ausstrahlen, die viele Unternehmen gerne für sich beanspruchen. Diese auf Ordnung und Vereinfachung ausgelegten Ansprüche machen – in Kombination mit ökonomischen Überlegungen – die Forderung naheliegend, dass Unternehmen weltweit einheitlich und nach klar definierten Regeln auftreten sollen. 

Ein weiterer Grund für die jahrzehntelange Popularität der modernen Grafik liegt darin, dass sie mit den damaligen wie heutigen Reproduktionstechnologien besonders einfach umzusetzen ist – doch dazu mehr in einem der folgenden Artikel dieser Reihe.

Zwischenfazit: Diese Denkschule des Corporate Designs befürwortet Konsistenz bis hin zur Uniformität.

Gegenbewegungen – oder „Wie mache ich komplexe Strukturen sichtbar?“

Parallel zum allgemeinen gesellschaftlichen Wandel stellten die Bewegungen der Counterculture, Postmoderne und der Globalisierungskritik die Prinzipien und Werte der modernen Grafik in den folgenden Jahrzehnten infrage. (2) 

Diese inhaltlichen Diskussionen sind wiederum stilprägend: So werfen die genannten Bewegungen dem modernistischen Corporate Design beispielsweise vor, die tatsächliche Komplexität von und Diversität in Organisationen zu ignorieren und bestehende Machtverhältnisse unkritisch zu unterstützen sowie durch Abstraktion tatsächliche Qualitäten zu kaschieren. Will heißen: Das „zu cleane“ Design spiegelt nicht die eigentlich komplexen Strukturen einer echten Organisation wider.

Beispielhaft sei hier die Debatte im niederländischen Design zwischen Wim Crouwel und Jan van Toorn genannt. Während Ersterer – bekannt für geometrisch konstruierte oder auch parametrisch gestaltete Schriften und Plakate – den Anspruch der Moderne vertrat, sachliche und neutrale Gestaltung zu entwerfen, stellte Letzterer in Zweifel, ob es überhaupt eine objektive Position im Design geben kann. Daher versuchte er, den subjektiven Blick des Gestalters aktiv in das jeweilige Thema einfließen zu lassen.

„Complexity = Identity = Wealth“ (3)

Das führte in den folgenden Jahrzehnten zu Gegenentwürfen: beispielsweise zu kontextuellen und lokalisierten Designs von Ruedi Baur sowie Metahaven, die insbesondere kritisierten, wenn nichthierarchische beziehungsweise demokratische Institutionen wie Länder, Städte oder Hochschulen sich derselben Branding-Logik unterwerfen wie gewinnorientierte, hierarchische Unternehmen. 

Zwischenfazit: Diese Designschule wehrt sich gegen Uniformität und sucht nach subjektiven sowie individuellen Motiven, die aber gemeinschaftsbildend statt exklusiv wirken.

Formale Variation – oder „Immer gleich ist langweilig“

Weniger politisch, aber von einem Bedürfnis nach Abwechslung und Variation getrieben, ist die Idee der dynamischen Erscheinungsbilder, die um die Jahrtausendwende unter Designern an Beliebtheit gewann: Dabei handelt es sich um Corporate Designs, die nicht statisch stets denselben Ausdruck haben und damit „langweilen“, sondern je nach Kontext und Botschaft Veränderung zulassen.

Der konzeptionelle Grundstein für diesen Ansatz wurde schon in den 1960er Jahren gelegt, unter anderem vom Schweizer Grafiker Karl Gerstner, der Gestaltung als das „Entwerfen von Programmen“ betrachtete. Durch die Entdeckung der neuen technischen Möglichkeiten entstanden ab Mitte der 1990er eine ganze Reihe an dynamischen Erscheinungsbildern. 

Das Spektrum reicht dabei von algorithmusbasierten Motiven (EXPO 2000 von QWER) über eher abstrakte „Bewegung vermittelnde“ Corporate Designs oder Datenvisualisierungen (Swisscom vereinte im ursprünglichen Konzept beides) bis hin zu Erscheinungsbildern, die jeder Organisationsangehörige in einem definierten Rahmen individualisieren kann oder diese sogar abstrahiert abbildet (Seed Media von Stefan Sagmeister). (4)

Dabei stellt sich die Frage, wie dynamisch die Erscheinungsbilder auf lange Sicht geblieben sind – oder ob der Effekt mit der Zeit verblasste und die Brand Manager eine bevorzugte Variation sozusagen einfroren, um auch für statische Medien und in großen Maßstäben zu funktionieren.

Zwischenfazit: Diese Ansätze versuchen Beständigkeit und Variation, Einheit und Vielfalt miteinander zu kombinieren. Es geht also um Konsistenz und Abwechslung gleichzeitig.

Alles geht – oder „Was will das Design/das Unternehmen mir sagen?“

Alle erwähnten Stile finden noch heute in Erscheinungsbildern Anwendung, aber im Detail ist die Vielfalt größer geworden. Während sich früher ein Corporate Design einer bestimmten Stilepoche und einer entsprechenden Haltung zuordnen ließ, ist dies heute bei der Fülle an Gestaltungsoptionen nicht mehr so einfach. Ähnlich wie in der Mode existieren heute im globalen Corporate Design viele Stile parallel – mit unterschiedlich großem Spielraum je nach Branche. 

Einzelne Branchen gleichen sich stilistisch schnell untereinander an. So war bei Start-ups in den 2000er Jahren die Web 2.0-Ästhetik mit vielen Verläufen dominant. In den letzten Jahren lassen sich beispielsweise gewisse Angleichungen bei Illustrationen beobachten. Dennoch kann man bescheinigen, dass die Schweizer Grafik immer noch stark präsent, aber die Bandbreite an verwendeten Stilen größer geworden ist. 

Plattformen wie Behance, auf denen Designer hunderttausende Designs austauschen, fördern diese Stilvielfalt. Wenn man will, so kann man den Eindruck eines „Anything Goes“, der sich auf diesen Designplattformen beobachten lässt, genauso ideologisch interpretieren wie die zuvor genannten Stilepochen. Diese große Auswahl an Stilen kann zu Beliebigkeit und Haltungslosigkeit führen: Man nimmt, was gerade gefällt.

„Wenn alles geht, steht ein Stil – und damit ein Unternehmen, das diesen Stil benutzt – noch für etwas?“

Zwischenfazit: Auf der einen Seite haben neue Methoden, wie digitale Designsysteme oder Templating, die Standardisierung und somit Konsistenz im Corporate Design vereinfacht. Auf der anderen Seite ist es fraglich, wie viel Wirkung ein an sich stimmiges und konsistentes Corporate Design entfalten kann, wenn es aus Langeweile des Designers oder der Verantwortlichen im Unternehmen nach zwei Jahren bereits wieder abgelöst wird. 

Welche Ideologien im Corporate Design bringt die Zukunft? – oder „Die Rückkehr der Werte?“

Gab es innerhalb der Architektur- und Produktdesignerszene des letzten Jahrhunderts mehrere Debatten über Identität und Weltbild im Entwurf, so war dieses in den letzten beiden Jahrzehnten unter Designern, die im Start-up- und Tech-Kontext sozialisiert wurden, weniger ein Thema. Mit den Diskussionen um Verhalten und Einfluss der großen Tech-Unternehmen kehrt die Debatte erfreulicherweise langsam zurück.

Gleichzeitig ist in anderen Teilen der Gesellschaft wieder stärkere Orientierung an Werten und Identität zu beobachten – über das gesamte politische Spektrum: von der Fridays-for-Future-Bewegung über konservative bis hin zu nationalistischen Strömungen.

Marken politisieren sich zunehmend, denken laut über ihren „Purpose“ nach und signalisieren in ihrer Kommunikation politische Standpunkte, beispielsweise Pro-EU oder Pro-Diversität. (5) Ob sich diese Haltung auch in ihren Corporate Designs manifestieren wird und mehr Haltung auch zu mehr Uniformität innerhalb des Erscheinungsbilds führt, bleibt zu beobachten. 

Fazit

Wir halten fest: Aus ökonomischer Sicht ist eine gewisse Uniformität innerhalb des Corporate Designs erstrebenswert und Voraussetzung für seine Wirkung. Denn nur durch ein konsistentes Erscheinungsbild kann sich das Unternehmen oder eine Marke langfristig wiedererkennbar am Markt positionieren. Außerdem geben festgelegte Designvorgaben den Gestaltern die Möglichkeit und Sicherheit, effizient und nahezu fehlerfrei zu arbeiten. Aber: Ob man will oder nicht, einem Corporate Design liegt mehr oder weniger explizit ein Wertesystem zugrunde.

So sollten sich Verantwortliche im Unternehmen Fragen stellen wie: 

  • Wenn in Organsationsentwicklung und HR von flachen Strukturen und Partizipation gesprochen wird, darf es dann ein streng-uniformes Corporate Design geben? Will man ein diverses Unternehmen in eine Uniform pressen?
  • Lässt sich ein strenges, sehr uniformes Erscheinungsbild andererseits nicht auch mit Arbeitserleichterung begründen? Klare Vorgaben für „Randthemen“-Dinge wie das Corporate Design sorgen dafür, dass sich die Organisationsangehörigen auf ihre eigentlichen Themen konzentrieren können – statt sich in jedem Team erstmal wochenlang damit zu beschäftigen, eine eigene Symbolik zu erfinden?

Beide Argumentationen sind plausibel. Es kommt somit auf das vom Unternehmen vertretene Wertesystem an. Denn egal wie man es dreht: eine Entscheidung für ein Corporate Design ist immer auch eine Frage der Haltung. 

Welche konkreten Gründe für ein strenges Brand Management sprechen, lesen Sie in unserer Reihe „Corporate Design Management – zwischen Kontrolle und Flexibilität“. 

Das Wichtigste in Kürze

  • Konsistenz im Corporate Design gewährleistet die Wiedererkennbarkeit der Marke.
  • Das Erscheinungsbild vermittelt eine Haltung – bewusst oder unbewusst.
  • In der Vergangenheit haben sich verschiedene Designstile wie der de-facto-Stilstandard oder dynamische Erscheinungsbilder hervorgetan und etabliert.
  • Die heutige Vielfalt der Designstile lässt vermuten, dass die Haltung bei der Auswahl kaum mehr eine Rolle spielt.
  • Bei einigen Bewegungen ist wieder eine stärkere Orientierung an Werten zu erkennen.

(1) Es gilt allerdings ab einem gewissen Grad der Uniformität das Argument des fehlenden Stimulus: Wenn alles gleich ist, blendet das Gehirn des Kunden die bekannten Signale aus und nimmt nur noch die Abweichungen wahr: Sprich, die Marke fällt dem Betrachter nicht mehr auf.

(2) Naomi Kleins „No Logo“ richtete sich zwar im Titel gegen Branding, war vor allem aber eine Kritik des globalisierten Kapitalismus. Ihre ästhetische Kritik richtete sich vor allem gegen das „Einbrennen des immer gleichen Stempels“ auf Waren, Innenstädte und Organisationen sowie die Monokultur der internationalen Konsumgüterfirmen.

(3) Titel eines Visual Essays von Jonmar van Vlijmen, entstanden im CAS Multiplicity: Design Research in Hybrid Societies, ZHdK, 2010

(4) Für eine ausführliche Übersicht vgl. Martins, Tiago & Cunha, João & Bicker, Joao & Machado, Penousal. (2019). Dynamic Visual Identities: From a Survey of the State-Of-The-Art to a Model of Features and Mechanisms. Visible Language. 53. 4-35 

(5) Vgl. zum Beispiel Yougov Whitepaper Brand Purpose 2020 (https://yougov.de/news/2020/03/04/brand-purpose-konsumenten-wunschen-sich-marken-mit/)

Till Oyen

Till Oyen
Co-Founder

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